Was mich bewegt.
Uns allen muss klar sein, dass unsere Demokratie ernsthaft bedroht ist. Vor rund 100 Jahren durch die Nazis, heutzutage durch AfD und deren Umfeld.
Vor ein paar Tagen ging das Festival „erLESEN! – Literaturtage im Saarland“ zu Ende. Ich habe eine besondere Beziehung zu dem Festival, weil ich einst – damals noch als Kultusminister – sozusagen Pate stand, als es vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels gemeinsam mit Buchhandlungen und Verlagen aus der Taufe gehoben wurde. Es ist also ein bisschen mein Patenkind, wenn ich das so flapsig ausdrücken darf.
Besonders gefreut habe ich mich, als ich die Einladung zu Michael Krügers Lesung bekam. Er war lange Zeit Leiter des renommierten Hanser Verlags, wo er eine zentrale Rolle in der deutschen Literaturszene spielte und bekannt dafür war, progressive Autoren und experimentelle Literaten zu fördern. Krüger stand für neue Ideen, für die gewaltigen Möglichkeiten der Sprache, Gesellschaft zu verändern und auch zu verbessern. Ich hatte ihn einst auf einer großen Buchmesse kennengelernt und mich mit ihm stundenlang wunderbar unterhalten.
Damals haben wir uns lange auch über den saarländischen Schriftsteller Ludwig Harig ausgetauscht, der in seinen Romanen immer wieder auch die vergiftete Verführungskraft des Nationalsozialismus vor und während den Kriegsjahren zu beschreiben wusste. Krüger und ich waren uns damals einig, dass Literatur eine zentrale Rolle für den Umgang mit historischen Lasten spielen kann. Denn Harig hat sich im Gegensatz zu anderen Autoren zu seinen Verstrickungen in der Hitler-Jugend bekannt und sich der Erinnerungsarbeit gewidmet. Deswegen war es mir wichtig, dass wir „Weh dem, der aus der Reihe tanzt“ seit 2017/2018 zur Pflichtlektüre für das Abitur gemacht haben.
Jetzt saß ich also letzte Woche in den Räumen der Stiftung Demokratie Saarland und freute mich auf die Lesung. Bevor Michael Krüger wirklich begann, aus seinem autobiographischen Buch „Verabredung mit Dichtern“ zu lesen, begann er allerdings mit einem Witzversuch: „Liebe Freunde“, sagte er, um dann ein wenig säuerlich zu ergänzen, wahrscheinlich müsse er mittlerweile ‚liebe Freunde und Freundinnen‘ sagen, weil er sonst womöglich verhaftet würde. Wer heute nicht gendere, suggerierte er, liefe Gefahr, Ärger mit dem Staat zu bekommen. Teile des Publikums lachten.
Mir war nicht nach Lachen zumute, weil ich kaum glauben konnte, dass ein so kluger und weltoffener Mann für einen Lacher und ein wenig Beifall das Narrativ der angeblichen Cancel-Culture bediente und ernsthaft behauptete, man dürfe seine Meinung zu bestimmen Themen nicht mehr kundtun. Um bei den Fakten zu bleiben: Jeder darf in Deutschland sagen, was er will. Das nennt sich Meinungsfreiheit. Er muss halt im Zweifel mit Widerspruch und Kritik rechnen, und natürlich hört die Freiheit dort auf, wo Gesetze gebrochen, Menschen beleidigt, diffamiert oder bedroht werden. Unsere Worte tragen Gewicht und Verantwortung, das wissen Menschen wie Krüger, deren ganzes Leben auf Worten und Büchern fußt, ganz besonders. Es ist also ratsam, sie mit Respekt und Bedacht zu wählen.
Uns allen muss klar sein, dass unsere Demokratie ernsthaft bedroht ist. Vor rund 100 Jahren durch die Nazis, heutzutage durch AfD und deren Umfeld. Sie sind es, die auch über Sprache zu einer Verrohung unserer Gesellschaft beitragen und mit Begriffen wie „Remigration“ versuchen, ihre menschenverachtende Ideologie zu kaschieren. Wir dürfen ihnen nicht auf den Leim gehen, indem wir ihre Narrative übernehmen. Das hat Harig damals so wunderbar in seinem Werk beschrieben.
Was tun also? Ich werde Michael Krüger schreiben, weil ich möchte, dass wir Demokratinnen und Demokraten gegen die AfD und den Rechtsextremismus in unserem Land zusammenstehen und Sorge dafür tragen, dass die Geschichte sich nicht wiederholt. Und überhaupt will ich, dass wir reden. Dass wir debattieren und streiten, aber auf dem Boden unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Sprache verändert sich, genauso wie unsere Gesellschaft, und wir tragen die Verantwortung dafür, dass diese Veränderung in eine gute Richtung für uns alle erfolgt.